Der 1. Diabetes-Prävention Online-Kongress des Lions Distrikts Bayern-Süd fand mit renommierten Referenten und zahlreichen Teilnehmer*innen statt. Die Kongressleiterin Prof. Dr. med. Helene von Bibra fasst zusammen, was Prof. A. Schwiertz (Institut für Mikroökologie Herborn, Deutsches Institut für Ernährungsforschung, Justus-Liebig Universität Gießen) in seinem Vortrag berichtete.

Mikrobiom – der unterschätzte Player im Stoffwechsel

Beim Mikrobiom, d.h. der Darmflora, gibt es ein methodisches Problem: Bisher sind nur 20% der Mikroben (Kleinstlebewesen wie Bakterien, Pilze) aus dem menschlichen Darm kultivierbar.
Ein Mensch hat ca. 37 Billionen Körperzellen und 20.000 aktive Gene, aber durch seine Mikroben ca. 10 x so viele Zellen und 150 x so viele Gene. Er hat eine unverwechselbare Darm-Mikrobiota, quasi wie ein Fingerabdruck. Der Mensch ist ein Metaorganismus als Wirt im Zusammenleben mit vielen prokaryoten Arten (Bakterien, d.h. einzellige Lebewesen ohne Zellkern).
Seit den Achtziger Jahren kam es in Amerika und auch weltweit zu dramatischer Zunahme von Adipositas (Fettleibigkeit) und Diabetes – zuvor hatten unseriöse „Forschungsarbeiten“ (z.B. die Diet-Heart Hypothese von Ancel Keys) Ernährungsempfehlungen und Ernährungspyramiden ausgelöst, die
massiv vor dem Verzehr von Fetten warnten und jahrzehntelang stattdessen zu Verzehr von viel Kohlenhydraten rieten.
Darmbakterien sind auf jeden Fall indirekt für Übergewicht verantwortlich: Falsche Ernährung senkt die Vielfalt der Darmmikrobiota und fördert Mikroorganismen, die uns z.B. aus dem vorhandenen Essen dann noch mehr Energie liefern (z.B. Fettsäuren wie Propionat und das hungerfördernde Acetat) oder mit ihren Endotoxinen (schädliche Zerfallsprodukte) Übergewicht und Insulinresistenz auslösen.
Aktuell wird die Entstehung von chronischen Krankheiten wie Diabetes, Adipositas, Arteriosklerose mit der sog. metabolischen Endotoxinämie oder „silent inflammation“, also Entzündung auf subklinischer (unbemerkter) Stufe, in Verbindung gebracht. Ihre Grundlage ist ein „leaky gut“ d.h. durchlässigere Darmwand, die also nicht mehr eine undurchdringliche Barriere darstellt z.B. für schädliche, von Darmbakterien produzierte Lipopolysaccharide (LPS). Diese LPS lösen über Immunantworten eine zunächst subklinische Entzündung aus sowie Insulinresistenz, oxidativen Stress und Neubildung von Fett in der Leber. Letztendlich führt das zu Fettleber, Adipositas und metabolischem Syndrom, d.h. Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die Entwicklung von Diabetes geschieht im engen Zusammenwirken von Stoffwechsel, Immunität und Mikrobiota. Nachteilig wirken sich auf unsere Mikroben aus: z.B. Zuckerersatzstoffe, Fruktose und leider auch spezielle Medikamente – schon bekannte Vertreter für Medikamente sind z.B. Antibiotika. Da gibt es noch viel Aufklärungs- und Forschungsbedarf.

Der Lösungsansatz ist eine gesündere Kost, basierend auf einer aktualisierten Ernährungspyramide mit sehr breiter Basis aus naturbelassenen pflanzlichen Lebensmitteln, zusammen mit der Empfehlung zu mehr Bewegung und zum Vermeiden von hochverarbeiteten Lebensmitteln.

MindCarb ist sehr überrascht, welche Bedeutung die Darmflora für einen gesunden Stoffwechsel hat, und wie viele unerwartete Verknüpfungen es hierbei nicht nur zur Qualität der eingenommenen Nahrung sondern auch zu Zuckerersatzstoffen und sogar zu Medikamenten gibt. Hoffentlich können zukünftige Ergebnisse aus diesem Forschungsgebiet bald Eingang finden in ärztlichen Empfehlungen und Verschreibungen. Große Gratulation an Prof. Schwiertz zu seinem lebendigen Vortrag!

Entsprechend der Programmreihenfolge werden dann im nachfolgenden Blog die Botschaften des fünften Vortrags beschrieben: Insulinresistenz als Präventionspotential (Prof. Dr. Helene von Bibra, Technische Universität München).